Johannes Lenzgeiger (k)

Faitiche Fotografie

Diplom Gestaltung
Prof. Martin Liebscher

November 2018

Überträgt man das Modell des Faitiche des Soziologen Bruno Latour auf die Fotografie-Theorie wird jede Art von Fotografie plötzlich ein Hybrid aus verschiedenen Kategorien, da der Faitiche weder reine Subjektivität noch Objektivität kennt. In der künstlerischen Arbeit Faitiche Fotografie werden die Gedanken Latours paradigmatisch zur Schau gestellt. In allen acht Schwarzweiß-Fotografien, die in einem speziellen Verfahren belichtet wurden, verschwimmt die Grenze zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Natur und Kultur, zwischen Wissenschaft und Glaube – vielmehr wird deren Nähe vor Augen geführt. Motivgebend hierbei ist der konzentrische Kreis, das älteste von Menschen überlieferte Ornament. Er verbindet die in unterschiedlichen Kontexten aufgenommenen Motive visuell miteinander. Die Fotografien werden präsentiert in Holzschaukästen, deren Ästhetik oszilliert zwischen wissenschaftlicher Vitrine, Reliquienschrein und künstlerischem Lichtrahmen.

Bruno Latours Faitiche-Theorie in der Fotografie

Diplom Theorie
Prof. Dr. Marc Ries

Real oder konstruiert? Existent oder phantasiert? Fakt oder doch Fetisch? Diese Streitfrage beschäftigt Realisten und Relativisten seitdem die westliche Moderne eine Trennung von Wissenschaft und Kultur hervorbrachte. Der französische Soziologe und Philosoph Bruno Latour spricht sich in seiner Publikation „Die Hoffnung der Pandora“ (2000) für eine Versöhnung dieser scheinbar gegensätzlichen Weltansichten aus. Latour vollzieht eine Auflösung der Begrifflichkeiten des wissenschaftlichen Fakts und des religiösen Fetischs, indem er die menschengemachte Konstruiertheit beider demonstriert. Latour zufolge sind Fakten gleichzeitig produziert und nicht produziert, da diese ihre Autonomie ausschließlich durch die Zusammenarbeit von Wissenschaftlern und Untersuchungsobjekt erlangen. Ebenso verhält es sich mit dem Fetisch, welches erst durch das Zusammenwirken von Gläubigen und dem Gegenstand der Anbetung autonom wird. Von diesem Zusammenhang ausgehend entwickelt Latour die Theorie des Faitiche, welche die eigene Konstruiertheit als konstitutives Element integriert und akzeptiert. Das Faitiche ist selbst ein Konstrukt, das allerdings keine Dualismen, sondern Hybride hervorbringt, welche eine offene Lesart zulassen.

Auch in der Fotografie-Theorie herrschen widerstreitende Auffassungen über das Medium. Ist ein Foto-Theoretiker, oder eine Foto-Theoretikerin Realist/Realistin, wird meist die Ansicht einer Fotogarafie als Abdruck der Wirklichkeit vertreten. Die zweite Strömung in der Fototheorie ist die des Sozial-Relativismus, die Fotografie wird hier als ein soziales Konstrukt, als eine Art Code, begriffen. Zusätzlich existiert auch eine Unterscheidung dessen was die Fotografie abzubilden vermag, Fotos sind entweder konstruiert, also inszeniert, oder nicht konstruiert und deswegen dokumentarisch.

Überträgt man das Modell des Faitiche nun auf die Fotografie-Theorie wird jede Art von Fotografie plötzlich ein Hybrid aus verschiedenen Kategorien, da der Faitiche weder reine Subjektivität noch Objektivität kennt. In der praktischen, künstlerischen Arbeit „dislodge – fact-fetish-photography“ werden die Gedanken Latours paradigmatisch zur Schau gestellt. In allen acht Schwarzweiß-Fotografien, die in einem speziellen Verfahren belichtet wurden sind, verschwimmt die Grenze zwischen Wissenschaft und Glaube – viel eher wird deren Nähe vor Augen geführt. Immer liegt der konzentrische Kreis vor, als ältestes von Menschen überliefertes Ornament überhaupt, und verbindet die in unterschiedlichen Kontexten aufgenommenen Motive visuell miteinander. Die Art der Präsentation oszilliert zwischen wissenschaftlicher Vitrine und künstlerischem Lichtrahmen. Die Negative werden jeweils in beleuchteten Holzschaukästen ausgestellt, die – wie auch die Kamera – eigenhändig gebaut wurden und spielen auf den, dank Latour, wieder positiv besetzten Begriff der Konstruiertheit an.

(Sophie Buscher)

cv

Johannes Paul Maria Lenzgeiger – Fotograf, Bildhauer und Filmemacher. Lebt und arbeitet in Osnabrück und Offenbach am Main

Diplomstudium an der HfG Offenbach (Fotografie, Bildhauerei), Diplom 2018.

Johannes Lenzgeiger versucht, in seinem künstlerischen Schaffen auszuloten, was die Fotografie an sich ist und wo die Grenze zwischen Fotografie und Skulptur verläuft. Gruppenausstellungen in verschiedenen Kunstvereinen, Marburg 2016, Freiburg 2017, Frankfurt 2018 sowie im Museum der Moderne, Rupertinum 2017 in Salzburg, den Ausstellungsräumen der Deutsche Börse Photography Foundation in Frankfurt 2018, oder den Opelvillen Rüsselsheim 2018.